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Wir zahlen nicht für eure Krise(?)!

Täglich werden wir in den Medien von Politikern und Propheten wirtschaftswissenschaftlicher Institute mit bombastischen Krisenszenarien geschockt. Die Prognosen von heute sind morgen schon veraltet. Drohende Bankencrashs, dramatische Produktionsrückgänge, begleitet von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sowie eine gigantische Staatsverschuldung für “Rettungsschirme” und “Konjunkturpakete”, sind Ausdruck der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1929. Vor diesem düsteren Hintergrund inszenieren sich die Politiker der herrschenden Parteien als eine Art “Feuerwehr”, die bereit und in der Lage ist, das Schlimmste zu verhindern. Dabei verschleiern sie zugleich jede Verantwortung für diese Krise. Neoliberale Ideologen aus Politik, Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft rufen inzwischen ganz selbstverständlich nach dem Staat als Reparaturinstanz. Die Böcke von gestern präsentieren sich als Gärtner für morgen.

Diese Krise ist kein Betriebsunfall

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Folge einer globalen Wirtschaftsordnung, in der dem Grundsatz der Profitmaximierung politisch und ökonomisch alles untergeordnet wird. Infolge dieser Wirtschaftsordnung haben sich in den letzten Jahrzehnten die Finanzmärkte verselbständigt. Riesige Geldmengen wurden angehäuft, die sich in der Realwirtschaft nicht mehr unbegrenzt mit hohen Renditen investieren ließen.

Nach einer Studie von Mc. Kinsey erhöhte sich das globale Finanzvermögen mit 167 Billionen Dollar von 1980 – 2006 um das Vier- zehnfache und hatte damit den dreieinhalbfachen Wert aller weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen.

Die Besitzer und Verwalter dieses globalen Geldschaums sind ständig auf der Suche nach profitablen Kapitalanlagen und produzieren dabei eine Finanzblase nach der anderen. So bildet die gegenwärtige Finanzkrise, deren Auslöser die geplatzte Immobilienblase in den USA war, nur den Höhepunkt einer Serie von Spekulationskrisen: Russland, Südostasien, Japan, Mexiko, Argentinien und die New- Economy-Blase. Bei den Finanzspekulationen ermöglicht die ständige Ausweitung von Kreditgeschäften mit den abenteuer-
lichsten Umwandlungen von Krediten zu Wertpapieren immer größere Blasen. Steueroasen und deregulierte Finanzmärkte beschleunigen diese Entwicklung.

Es ist jedoch völlig unsinnig, ein Bild von den “bösen Finanzmärkten” und der “soliden Realwirtschaft” zu zeichnen. Beide Sektoren sind miteinander verflochten. Abgesehen davon, dass das “überschüssige Kapital” ursprünglich aus den Profiten der Realwirtschaft kam, wirken die Profiterwartungen des Finanzsektors auf die sog. Realwirtschaft zurück. So gehen Hedgefonds und Shareholder in  Aktienunternehmen von Profit-
margen aus, die sich an denen des Finanzsektors orientieren. Für sie sind Betriebe nur noch Anlageobjekte, die ausgepresst, verschoben, verscherbelt oder ausgeschlachtet werden, wenn sie ein bestimmtes Renditeziel nicht mehr erreichen. Auf der Strecke bleiben dabei die Arbeiter und Angestellten.

In einem skrupellosen globalen Ausbeutungsprozess, in dem die Menschen, die Natur und Kulturen nur noch als ökonomische Standortfaktoren betrachtet werden, vergrößert sich national und global ständig die Kluft zwischen Arm und Reich. Es droht eine Klimakatastrophe von unbekanntem Ausmaß und das Ende vieler natürlicher Ressourcen ist absehbar. Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen führen weltweit zu Hunger, Tod und Elend bei den Ärmsten der Armen. Hunger und Unterernährung sind die  hauptsächlichen Todesursachen auf diesem Planeten. Dies obwohl die Weltlandwirtschaft auch ohne Gentechnik heute zwölf Milliarden Menschen (das Doppelte der Weltbevölkerung) ernähren könnte. Vor diesem Hintergrund stellt Jean Ziegler, ehemaliger Beauftragter der UN für Ernährungsfragen, zu Recht fest: “Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.” Die aktuelle Weltwirtschaftskrise verschärft diese Entwicklung.

Wer zahlt die Zeche der Zocker?

In den entwickelten Industriestaaten gehen die Versuche, Banken zu retten und zusammengebrochene Märkte zu stabilisieren, vor allem auf Kosten der Arbeiter, Angestellten, Arbeitslosen und Rentner sowie ihrer Familien. Sie haben nicht nur die unmittelbaren Folgen der Krise durch Kurzarbeit, Entlassungen, Lohnkürzungen und Lohndumping auszubaden, sondern sie werden auch später für die Reparaturkosten in Form einer gigantischen Staatsverschuldung zur Kasse gebeten.Von der Bundesregierung sind 480 Milliarden Euro in Form von Bürgschaften und direkten Finanzhilfen in einem Sonderfond (SoFFin) zur Rettung der Banken bereitgestellt. Das ist fast das Doppelte des Bundeshaushalts.

Weit über 200 Mrd. Euro flossen davon bereits an diverse Landesbanken, die Hypo Real-Estate und die Commerzbank. Doch diese Banken sind damit längst nicht saniert. Niemand weiß, wie viel Wertpapiermüll sich noch in ihren Bilanzen befindet. Das gilt auch für die HSH-Nordbank, deren Sanierungsbedarf unab-
sehbar ist und vermutlich weit über die veranschlagten 13 Mrd. Euro an Eigenkapitalerhöhung und Kreditgarantien hinausgeht.

Neben den gigantischen Beträgen zur Bankenrettung wurden 50 Milliarden Euro in Konjunkturprogramme investiert, die sich kaum auswirken werden. Die Umsätze der deutschen Industrie sind im März gegenüber dem Vorjahr um 23,3 Prozent eingebrochen, Exporte haben sich dramatisch reduziert. Inzwischen gehen die “Experten“ für 2009 von einem Absinken des Bruttoinlandsprodukts um vier bis sechs Prozent aus. Vor diesem gesamtwirtschaftlichen Hintergrund ist ein Konjunkturpaket von 50 Milliarden Euro, völlig unab-
hängig von seiner unsozialen Verteilung, ein lächerlicher Tropfen auf den heißen Stein. Auch größere Konjunkturpakete würden bestenfalls die sozialen Folgen dieser Krise abfedern. Diese Krise lässt sich nicht systemimmanent lösen, sie gehört zum System!

Aktuell müssen soziale und linke Bewegungen dafür kämpfen, dass die Folgen dieses Desasters nicht wieder nach “unten” abgewälzt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass riesige Verluste durch Steuergelder sozialisiert werden, um künftige Gewinne wieder zu privatisieren. Genau das ist Inhalt und Ziel der sog genannte Rettungsschirme für Banken. Die tiefste Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren offenbart in aller Deutlichkeit, dass dieses System für die Mehrheit der Menschheit sozial, ökonomisch und ökologisch äußerst bedrohlich ist. Darüber können auch keine Produktivitäts- und Wachstumsraten der letzten Jahre hinwegtäuschen. Solche Globaldaten sagen nichts darüber aus, was, zu wessen Gunsten mit welchen ökologischen und sozialen Folgen wächst.

Ein Systemwandel ist nötig.

Unabhängig von der Kontroverse, ob und in welchem Umfang Marktwirtschaft sinnvoll oder notwendig ist, besteht bei ATTAC Konsens darüber, dass Märkte und Kapital demokratisch reguliert, begrenzt und kontrolliert werden müssen. Bildung, Gesundheit, Altersvorsorge, Mobilität, Energiesicherheit und andere öffentliche Güter sind keine Waren. Sie müssen nach sozialen und ökologischen Maßstäben bewirtschaftet werden. Auch die Banken gehören als Basisfunktion der Finanzwirtschaft unter gesellschaftliche Kontrolle.

Ein armutsfester Mindestlohn sowie ein bedingungsloses Existenzgeld müssen allen Menschen als Grundsicherung ein Leben in Würde ermöglichen. Das gilt auch für die Gesundheits- und Altersvorsorge durch Bürgerversicherungen. Das Geld dazu ist da. Es ist nur un- sozial verteilt. Zur Erinnerung: Auf den Finanzmärkten jagen riesige Kapitalmengen um den Globus und werden in Devisen-, Finanz-, Immobilien- und Rohstoffspekulationen angelegt. Gleichzeitig vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich täglich. Zur Rettung von Banken stellt dieser Staat über 500 Milliarden zur Verfügung und spart bei Hartz IV-Empfängern jeden Euro.

Leider ist ein Systemwandel nicht nur eine Frage der besseren Argumente sondern in erster Linie eine Frage der Interessenlage und der Macht im Staat. Nur in einer breiten Koalition von sozialen und ökologischen Bewegungen, von Gewerkschaften und Kirchen lassen sich Veränderungen erkämpfen. Aus den Erfahrungen dieser Kämpfe und der politischen Diskussion der beteiligten gesellschaftlichen Gruppen müssen sich die Perspektiven für eine “andere Welt“ entwickeln. Das gilt im nationalen, europäischen und globalen  Zusammenhang.

(Attac Kiel)